50. Jahrestag deutsch-türkischen Anwerbeabkommen
Als Siebenjährige kam Adalet
Sal 1977 aus einem kleinen Dorf in Anatolien nach Köln-Nippes. Ihr Vater hatte
das Dorf bereits vor Jahren verlassen und arbeitete bei Ford. Er wollte, wie
fast alle anderen Migranten auch, nur zwei, drei Jahre nach Almanya, um
anschließend in der Heimat ein Haus zu bauen und einen Traktor zu kaufen.
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Kemal Sahin. copyright: migrations-audio-archiv. |
Nur
drei Jahre später verstarb er plötzlich, und Adalet und ihre Geschwister
mussten schnell lernen, auf ihren eigenen Füßen zu stehen. Sie heiratete früh, bekam
ein Kind, entdeckte ihre Liebe zur Technik und ist heute selbständige
Konstrukteurin bei Ford. Eine Geschichte von einem guten Dutzend, die fünf
Jahrzehnte türkisches Migrantenleben in Deutschland abbilden. Ende Oktober 1961
war das deutsch-türkische Anwerbeabkommen abgeschlossen worden, die türkische
Regierung wollte Arbeitskräfte exportieren, um Druck von dem Arbeitsmarkt zu
nehmen. Für Deutschland war es das vierte Abkommen dieser Art, nach Italien, Spanien,
Griechenland.
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copyright: migrations-audio-archiv. |
Im Rahmen des 50. Jahrestages
des Anwerbeankommens sendet der WDR 5 spezial am 28.10.2011 von 20:05 bis 23:30
Uhr eine Hörnacht zu Migrationsgeschichte. Das migration-audio-archiv
initiiert, recherchiert und produziert die Radio ‘Lange Nacht der erzählten
migrationsgeschichte’.
Die Hörnacht wird um das
bewährte Format der ‘Miniaturen’ bereichert und dramatisiert werden: zahlreiche
akustische Inseln von einigen Minuten Länge, die Text und Stadtklänge, historische
O-Töne und Medienzitate uvm. verwenden und verweben.
Produktion: WDR /
migration-audio-archiv / +49 221. 9520952 Autor/in: Sefa-Inci Suvak und Justus
Herrmann Redaktion: Mark vom Hofe
Das Stadtmuseum Landeshauptstadt Düsseldorf kooperiert
mit dem migration-audio-archiv. Dies geschieht auf der Projektebene zum Thema
Migration in den Bereichen Forschung, Ausstellung, Museumspädagogik und
Veranstaltung.
Das migrations-audio-archiv:
Das migration-audio-archiv
ist ein wachsendes Archiv aus Lebensgeschichten von Einwanderern in der
Tradition der Oral History. Weit über 100 veröffentlichte Interviews - mit den
Stimmen der Erzählenden selbst - erzählen von den vielen Facetten der
Migration: der ersten Generation der Arbeitsmigranten, der sogenannten
"Gastarbeiter", die jetzt zwischen 60 und 80 Jahre alt sind,
Flüchtlingen, ausländischen Studierenden, die hier geblieben sind, bis zu
Umweltflüchtlingen. Menschen zwischen 14 und 90 Jahren erzählen über ihre
Reisewege, ihre Erwartungen, Passkontrollen, Heimat, Arbeit, Angst, Glück -
eben alles, was ein Menschenleben mit sich bringt.
Sefa Inci Suvak und Justus
Herrmann sind die Initiatoren dieses lebendigen Archivs und arbeiten zum Thema
Migrationsgeschichte und Erinnerungskultur. Seit 2004 initiieren und führen sie
Migrations-Projekte mit Museen, Funkhäusern und anderen Kulturinstitutionen
durch.
Die Bundeszentrale für politische Bildung schreibt zum
Thema:
„In den Jahren des "Wirtschaftswunders"
machte sich in der Bundesrepublik Deutschland trotz der großen Zahl von
Vertriebenen und Auswanderern aus der DDR - besonders nach dem Mauerbau 1961 -
ein steigender Bedarf an Arbeitskräften bemerkbar. Daher schloss die
Bundesregierung von 1955 bis 1968 mit mehreren Staaten Anwerbeabkommen,
darunter 1961 mit der Türkei. Bis Mitte der 1960er Jahre war es allgemeiner
Konsens, dass die ausländischen Arbeitskräfte - die "Gastarbeiter",
wie sie bald im öffentlichen Sprachgebrauch hießen - nur vorübergehend in
Westdeutschland leben und arbeiten sollten. Im Anwerbeabkommen mit der Türkei
war die Aufenthaltsdauer auf maximal zwei Jahre festgeschrieben. Da lediglich
der Bedarf der Wirtschaft nach Arbeitskräften erfüllt werden sollte, gab es
keine Überlegungen oder gar Planungen hinsichtlich einer dauerhaften Ansiedlung
der Zuwanderer. Von einigen Spezialisten wie etwa hochqualifizierten türkischen
Fachärzten abgesehen, übernahmen die Arbeitsmigranten meist Stellen, für die
sich keine Deutschen bewarben. Folglich fand ihr Einsatz in der Gesellschaft
allgemeine Zustimmung. Eine mögliche Integration der Arbeiter und eine
Auseinandersetzung mit ihrem Herkunftsland, ihren Traditionen und ihrer
Religion schien nicht notwendig zu sein, da Arbeitskräfte nur kurzfristig
benötigt wurden und im wirtschaftlichen Krisenfall wieder in ihre Heimat
zurückkehren sollten. Bereits in der zweiten Hälfte der 1960er Jahre wurde das
Rotationsprinzip - nicht zuletzt auf Betreiben der Wirtschaft, die die
Anlernkosten scheute - gelockert. Noch während der Rezession 1966/67 waren
zahlreiche ausländische Arbeitskräfte, die ihre Stelle verloren hatten, in ihr
Herkunftsland zurückgekehrt. Mit dem wirtschaftlichen Aufschwung kamen sie in
die Bundesrepublik zurück. Im Oktober 1973 erließ die Bundesregierung wegen der
Ölkrise und dem daraufhin befürchteten wirtschaftlichen Rückgang einen
Anwerbestopp. Im selben Jahr hatte die Beschäftigung von ausländischen
Arbeitnehmern mit rund 2,6 Millionen ihren Höhepunkt erreicht. In den
Rezessionsphasen 1974/75 und 1981 bis 1984 kehrten ausländische Arbeitslose
jedoch weit seltener in ihre Heimat zurück, weil sie befürchteten, keine
abermalige Rückkehrerlaubnis in die Bundesrepublik zu erhalten.
Bis zum Anwerbestopp waren vor allem junge Männer nach
Deutschland gekommen. Im Rahmen der Familienzusammenführung ab 1974 begannen
die Arbeitskräfte verstärkt, ihre Angehörigen nachzuholen. Damit stieg auch die
Aufenthaltsdauer. 2004 lebten mehr als 73 Prozent der Türken länger als zehn
Jahre in Deutschland, davon 20,5 Prozent sogar länger als 30 Jahre. Aus
"Gastarbeitern" waren de facto Einwanderer geworden. Viele Vertreter
der ersten Generation von Arbeitsmigranten blieben im Land - ungeachtet ihres
früheren Vorsatzes, in Deutschland rasch Geld zu verdienen, um sich zu Hause
eine gesicherte Existenz aufbauen zu können. Oftmals wollten die Kinder und
Enkelkinder nicht zurück in die Türkei, und so blieben auch die Älteren bei den
Familien in Deutschland.“
Quelle:
Die Bundeszentrale für
politische Bildung hat zum 50. Jahrestag des Anwerbeabkommens eine Publikation herausgegeben.Online ist sie zu finden
unter: